Interview: Online Public Relations

Im Zuge seiner Bachelorarbeit, die sich mit den Themen „Word of Mouth“ und „Viral Marketing“ befasst, führte Marcus Haack von der Berlin School of Economics and Law (HWR) ein Interview mit Heiko Biesterfeldt. Der geschäftsführende Gesellschafter von ad publica Public Relations GmbH gibt Antworten auf die wichtigsten Fragen aus den Bereichen Werkzeuge in der Online Public Relations, Kommunikationskanäle und Verknüpfung von Unterhaltung und Botschaft. 

Sie bezeichnen sich selbst als Kommunikationsgeneralist. Was bedeutet das?

Wir als Generalisten beauftragen gelegentlich Spezialisten. Also zum Beispiel Grafiker oder Fotografen. Unser Ansatz ist, dass wir unsere Kunden aus einer übergeordneten Perspektive strategisch beraten. Dabei geht es darum, Unternehmenskommunikation und Imagesphäre im Blick zu behalten — deswegen Generalist. Der Kommunikationsbezug ist klar: Es soll eine Botschaft gesendet werden. Wofür steht das Unternehmen, was ist dieses Produkt und warum brauche ich es? Insbesondere im Bereich der Online Public Relations, der immer wichtiger wird, ist eine solche Ausrichtung von Vorteil.

Was verstehen Sie unter Word of Mouth Marketing und Viral Marketing?

Das sind zwei grundverschiedene Werkzeuge, die im Bereich der Online Public Relations angewandt werden. Word of Mouth Marketing hat immer einen Produktbezug. Es dient dazu, wie der Name schon sagt, die (positiven) Erfahrungen von Nutzern zur Eigenwerbung zu verwenden. Content, der aus diesen Erfahrungen entsteht, soll digital geteilt und verbreitet werden. Deshalb verstehe ich das als Online Public Relations.

Bei Viral Marketing wird vom werbenden Unternehmen ein „viral agent“ kreiert. Dieser repräsentiert eine Botschaft, die gezielt digital gestreut wird. Im Falle von E-Mail Anbietern zum Beispiel kann dies das schlichte Anhängen eines kurzen Textes an E-Mails der Nutzer sein. Eine andere Form sind lustige, originelle Videos. Viral Marketing kommt auch ohne ein Produkt aus.

Wie stark haben Word of Mouth Marketing und Viral Marketing in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen? Setzen sich beide als elementare Werkzeuge der Online Public Relations durch?

Word of Mouth und Viral Marketing haben natürlich extrem an Bedeutung gewonnen. Das sehen wir beide nicht nur daran, dass Sie Ihre Bachelorarbeit darüber schreiben. Geschäftlich sehe ich dies auch daran, dass diese Marketingformen in unsere Projekte immer häufiger Einzug finden. Oftmals sprechen Kunden auch davon, dass sie es gern „viral“ hätten. So etwas lässt sich natürlich nicht ohne Weiteres oder nebenbei bewerkstelligen. Beide Formen sind auf internetbeschleunigte Kanäle ausgelegt. Doch es ist leicht sich vorzustellen, dass manche Unternehmen besser beraten sind, wenn sie auf „klassische“ Online Public Relations setzen.

Ein bekannter Mobilfunkanbieter ist hierfür ein passendes Beispiel. Das Unternehmen hat in der digitalen Welt, speziell in sozialen Netzwerken, sehr große Imageprobleme. Das wird sich früher oder später auch betriebswirtschaftlich auswirken — wenn es das nicht bereits tut. Ein lustiges Video allein wird hier eher zu einer Verstärkung des Negativtrends in der Unternehmenswahrnehmung führen. Sollte dort dennoch die Entscheidung zu Gunsten einer viralen Kampagne fallen, müsste diese mit einem Wandel in der Unternehmenskommunikation einhergehen.

Worauf es — nicht nur in den Online Public Relations — immer ankommt, sind Kreativität und Innovation. Und darüber hinaus muss es zur aktuellen Lage passen. Man kann nicht erwarten, etwas zu produzieren, dass zu jeder Zeit passt. Nicht jedes Produkt ist für so etwas ausgelegt. Was jedoch gemacht werden kann, ist politische Verstrickungen oder Geschehnisse aus der jüngeren Vergangenheit gekonnt zu verarbeiten und zu persiflieren. Neudeutsch heißt das „news jacking“. Mit Fingerspitzengefühl und einem Blick für Trends können ganz neue Chancen auf Aufmerksamkeit erschlossen werden.


Können Sie ein Beispiel für erfolgreiches Viral Marketing nennen?

Einer der wirklich erfolgreichen „viral agents“ ist von Hornbach. In diesem springt ein Mann mit seinem Motorrad in einem spektakulären Stunt über einen Hornbachmarkt. Das besondere ist hier, das Hornbach mit seinem Image ausgefallener Werbung spielt, der Fokus auf dem Sprung liegt, jedoch die ganze Zeit über der Schriftzug des Baumarkts im Bild ist. Eine sehr aufregende Aktion, die nicht unbedingt eine Botschaft transportiert. Aber der gewünschte Aufmerksamkeitseffekt ist gesichert.


Kennen Sie weitere Beispiele für gelungene Anwendungen oder vielleicht sogar Erläuterungen des viralen Gedankens?

Ein Video, das hervorsticht, gibt es tatsächlich. Es handelt sich um eine Szene aus der vierten Episode der Star Wars-Saga. Diese ist auf schwäbische Mundart synchronisiert worden und die Bösewichte erklären uns Viral Marketing während sie darüber streiten ob es sinnvoll ist damit zu arbeiten oder nicht. Großartig gemacht und außerdem sehr unterhaltend, Darth Vader auf Schwäbisch zuzuhören. Dieses YouTube-Video schauen sich auch Leute an, die gerade keine Bachelorarbeit über Viral Marketing schreiben. Es ist schon interessant zu beobachten, wie ein Teil der Popkultur dazu genutzt wird, Online Public Relations verständlich und überaus amüsant zu erläutern.

Durch den steigenden Bekanntheitsgrad wächst natürlich auch die Nachfrage seitens der Unternehmen. Festzuhalten ist, dass die Projekthonorare für VM und WOM in den letzten Jahren gestiegen sind. Das liegt vor allem daran, dass sich heutzutage neue Reichweiten abseits der alten Reichweiten aufbauen. Es geht um Reichweiten-Erzeugung auf Basis der Vernetzungsmöglichkeiten, die das Internet bietet.

In der Praxis erweist es sich oft als schwierig, eine Kampagne zu starten, die das Potenzial hat, viral zu werden. Was erhöht die Wahrscheinlichkeit einer viralen Verbreitung im Internet?

Es gibt im Wesentlichen eine Regel. Sie heißt: „Mach Werbung, die nicht nach Werbung aussieht!“. Oder in meinem Fall Online Public Relations. Im Großen und Ganzen wird Aufmerksamkeit generiert, indem relevant informiert oder relevant unterhalten wird. In seltenen Fällen kommt sogar beides zusammen. Wenn sie geschickt eingebunden ist, funktioniert das. Hornbach hat vor einiger Zeit eine Publicity Kampagne gestartet: In dem Video diente das Dach des Baumarktes — auf dem man den Hornbach-Schriftzug lesen konnte — als Rampe eines Motorradfahrers. Hier war der virale Effekt lediglich Publicity. Ich sage deswegen „lediglich“, weil ich als Öffentlichkeitsarbeiter auch großen Wert darauf lege, Botschaften zu transportieren. Manchmal kann auch schlicht die nackte Publicity ein Ziel sein, dessen Erreichung einen Unternehmensnutzen stiftet. Da viele Unternehmen Online Public Relations betreiben, muss schon etwas Besonderes entstehen, um sich aus der Masse herauszuheben. Ein gelungenes, sehr cleveres Beispiel für die Verbreitung einer kommerziellen Botschaft über einen viralen Spot ist das des Mixer-Herstellers Blendtec. Sie haben davon gehört?

Die „Will it Blend?“-Videos.

Genau. Millionenfach geklickte YouTube-Videos, in denen der Firmengründer, mit Schutzbrille und Kittel ausgestattet, allerlei teure Dinge, z. B. ein iPhone, in einem Blendtec-Mixer zerkleinert — ein sehr skurriler und lustiger Anblick. Und die Botschaft wird rübergebracht: Nämlich, dass es sich um einen leistungsfähigen, stabilen, qualitativ hochwertigen Mixer handelt, der sein Geld auf jeden Fall wert ist. Das ist auch der Grund, warum dieses Beispiel in jedem Gespräch zu Viral Marketing früher oder später vorkommt: Ein perfekter Mix aus Publicity einerseits und Botschaft anderseits. Kreative, innovative Ideen in Videos werden rasant geteilt. Die Chancen dazu steigern sich nochmals durch die Vereinfachung des Teilens mit Hilfe von Smartphones.

Vor einigen Jahren tauchte ein Video auf YouTube auf, das zeigte, wie ein Blendtec-Mixer bei einer Liveaufführung des Firmengründers vor Publikum, beim Versuch einen Besen zu zerkleinern, kaputt ging. Das Video wurde millionenfach geklickt. Inwiefern besteht die Gefahr, bei Wahl einer viralen Kampagne, mit einem Shitstorm konfrontiert zu werden?

Man muss sich bewusst sein: Wenn man seine Wohlfühlzone verlässt, kann es unangenehm werden. Das gilt natürlich nicht nur für Viral Marketing, sondern für Unternehmenskommunikation im Ganzen. Das ist aus meiner Sicht aber auch nicht immer schädlich. Hierzu ein etwas älteres Beispiel: Die Mercedes A-Klasse, die im Elchtest versagte. Der Fehler hatte in der Produktentwicklung stattgefunden und ist dann zu einem Kommunikationsphänomen geworden. Die Kommunikationsverantwortlichen bei Mercedes haben es geschafft, das Ganze in einen Erfolg umzuwandeln. Und auch die Entwickler haben in diesem Zusammenhang das ESP und andere technische Features entwickelt, die Mercedes im Bereich Sicherheit extrem revitalisiert haben. Ich denke also, dass ein kaputter Mixer auch eine Chance sein kann. Es kommt vor allem darauf an, wie man mit dem Shitstorm umgeht.

Online Public Relations ist ein sehr weites Feld, dessen Reichweiten und Zielgruppen sich einerseits erst noch erschließen und andererseits stetig verschieben. Immer mehr Menschen sind digital vernetzt. Während wir vor zehn Jahren noch eine bestimmte Altersgruppe ins Auge fassen mussten, sind solcherlei Grenzen immer durchlässiger. Heutzutage fragen sich PR-Agenturen eher auf welchen Plattformen und über welche Endgeräte wir wen abholen. Besonders spannend wird es mit den jüngsten Generationen, den sogenannten „Digital Natives“.

Was ist in Ihren Augen der wichtigste beziehungsweise stärkste internetbeschleunigte Kommunikationskanal?

Ich glaube, dass die Blogosphäre am leistungsfähigsten ist. Sie bietet unter anderem einen größeren Effekt im Bereich SEO bzw. Online Public Relations als zum Beispiel soziale Netzwerke. Die Links und Inhalte, die dort entstehen, sind meistens ausführlicher und zusätzlich länger haltbar. Eine Facebook-Markierung oder ähnliches verschwindet oft nach kurzer Zeit. Ein cleverer Artikel, der in der Google Datenbank indexiert ist, bleibt jedoch ziemlich lange erhalten. Insofern sehe ich beim nachhaltigen Platzieren von Botschaften und für einen nachhaltigen Einfluss auf Publicity die Blogosphäre an erster Stelle. Soziale Netzwerke sehe ich knapp hinter Blogs. Lässt man eine konkrete Zielsetzung außer Acht, ist auch keine Differenzierung zwischen Facebook, Google+, Twitter, Xing, LinkedIn nötig.

Macht es Sinn sich über die Formen der Werbemittel und –aktionen Gedanken zu machen?

Um wirksam Botschaften zu verbreiten, stellt sich zwangsläufig die Frage, welches Werbemittel bzw. welcher Viral Agent am sinnvollsten ist? Online Public Relations erarbeitet sich schließlich nicht von selbst. Da möglichst viel positive Resonanz erzeugt werden soll, muss zeitgleich auf die Tauglichkeit zur Feedback-Schöpfung geachtet werden. Aus persönlicher Erfahrung, kann ich sagen, dass die Erwartungen der Konsumenten in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind. Ein schlichtes Bild reicht oft nicht mehr aus, den gewünschten Effekt zu erzielen. Das Video hingegen ist ein „viral agent“, der sich immer größerer Beliebtheit erfreut. Die Bandbreite der Erscheinungsformen ist naturgemäß sehr groß. Von kurzen Clips bis hin zu halbstündigen Werbefilmen, die eher eine Geschichte erzählen, als ein bestimmtes Produkt zu beleuchten, ist alles denkbar. Wenn man zurückdenkt, war Michael Jacksons Video zu Thriller auch nichts anderes. Im Grunde war der Song in der langen Version des Videos nur der Soundtrack für diesen Minifilm. Es steigerte die Bekanntheit des Songs enorm. Jeder wollte dieses Video sehen. Das Internet bietet viel mehr Raum und wesentlich höhere Kapazitäten zur Verbreitung als das Fernsehen der 80er. Auch das TV Programm von heute kann nicht mit der Wahlfreiheit des Internets mithalten.

Das Video als Medium wird also noch an Fahrt gewinnen? Gibt es noch weitere Trends?

Internet-Video ist mit Sicherheit ein Trend. Das fällt in den generellen Trend zum Digitalen. Bisher gab es immer eine Medialandschaft des Mangels: Mangelnde Produktionskapazitäten, mangelhafte Vertriebskapazitäten und vor allem mangelnde Sendeplätze. Sie und ich hatten es schwer eine Zeitung herausbringen, als es noch kein Internet gab. Heutzutage kann jeder mit Leichtigkeit über eine Blogsoftware, wie WordPress, Inhalte veröffentlichen und Reichweite aufbauen. Das gleiche, was derzeit mit Printmedien passiert, wird meiner Meinung nach auch mit dem Fernsehen passieren. Die Möglichkeiten, dass wir selbst — ohne studierte Filmleute zu sein — Videos erzeugen und teilen können, werden immer besser und zahlreicher. Selbstgemachte Videos werden zunehmen. In der Folge wird immer mehr Aufmerksamkeit von klassischen Medien abgelenkt, hin zu einer Mediennutzung, die inhaltlich getrieben ist. Bei der Google-Nutzung ist das heute schon der Fall. Ich denke, dass wir in fünf bis zehn Jahren immer mehr Bewegtbildinhalte als Suchergebnisse konsumieren werden.

Geht mit Viral Marketing auch immer ein Kontrollverlust einher?

Grob gesagt: ja. Wer viral wirbt, muss sich bewusst sein, dass es positive Resonanz geben kann. In einem solchen Fall ist der Kontrollverlust leicht zu verschmerzen. Es kann allerdings auch negatives Feedback geben. In solchen Fällen kann der Kontrollverlust schnell zum Problem werden. Betont man im viralen Marketing Aspekte, die in den Augen der Konsumenten nicht zutreffend sind oder sogar das Gegenteil der eigentlichen Wahrnehmung darstellen, kann es sogar zu einem Shitstorm kommen.